Königin im eigenen Reich

Sprache – Macht – Sinn

Magd und Knecht

In der Bibel heißt es: „Siehe ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Magd bedeutet ursprünglich unverheiratete, junge Frau. Daher auch Jungfrau Maria. Jung und unverheiratet. Die Maid, die reine Frau. Warum rein? Weil ohne sexuelle Erfahrung? Und dann gibt es noch das Gegenteil: Die Hure. Eine Frau, die außerehelichen Sex hat oder wahllos mit Männern verkehrt. Wie wird eigentlich ein Mann bezeichnet, der außerehelichen Sex hat? Was? Es gibt kein abwertendes Wort? Interessant.

Nun, ich habe es satt, abwertende Wörter zu beten, mich unterzuordnen und zu fügen. Dem Herrn. Was, ist doch nur Sprache? Ja? Warum beten wir dann nicht: „Ich bin der Knecht der Herrin? Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Knechten steht für Arbeiten und Dienen in Abhängigkeit. Was bedeutet dieser Satz wohlmeinend im übertragenen Sinn? Den Dienst am Menschen im Namen des Gott Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Fällt auf, dass die göttliche Essenz in männliche Form gegossen wurde? Zufall? Oder Absicht und Spiegel unserer Gesellschaft? Der Geist wurde dem Weib erst spät zuerkannt und immer noch wird Mädchen und Frauen in manchen Ländern der Zutritt zu Bildung mit Gewalt verwehrt. Wo ist die Frau in der Religion heute? Abseits von Heiliger und Hure. Großteils unsichtbar? Für die meisten bleibt nur das „Ehrenamt“, das in diesem Sinne einen schalen Beigeschmack hat. Die „Oberen“ geben unliebsame Arbeiten nach unten ab. Nur einige wenige Religionsgemeinschaften haben tatsächlich eine Öffnung zugelassen und ermöglichen Frauen und Männern gleichermaßen, teil zu haben und mitzugestalten. Mit Ehre und Freude die Arbeit zu tun.

Religion und Führung

Religion, sollte sie dem Menschen nicht Segen, Trost, Geborgenheit, Sicherheit und Ruhe bringen? Anstatt den Mann anzubeten und über die anderen zu herrschen? Zu teilen in gläubig und ungläubig? Teilen im Sinne von trennen, anstatt zusammenzuführen? Wann ging verloren, dass Religion bedeutet, Gemeinschaft zu leben und Früchte zu tragen?

Ich will mit Liebe lernen, mich selbst zu führen, anstatt den Stein zu erheben, um im Namen von „XY“ die Fehler der anderen zu geißeln. Ich will mit Liebe lernen, meine eigenen Fehler zu akzeptieren und sie als Lernchance begreifen, anstatt den Splitter im Auge des Nachbarn zu suchen. Ich will das Ursprüngliche in mir entdecken, das, was hinter der Maske steckt. Das Heilige, das jedem von uns innewohnt und uns erkennen ließe, dass wir uns selbst verletzen, wenn wir die Hand gegen den Bruder oder die Schwester erheben.

Oder gegen die Schöpfung. Wir leben auf einem Planeten, auf einer Erde. Letztendlich gibt es nur ein Wasser. Das Wasser, das wir heute verschmutzen, werden unsere Kinder morgen trinken. Wir sind eins und viele. Wir können nicht allein leben – wir sind „all-eins“. Wie ich mit mir umgehe, hat Auswirkungen auf meine Mitwelt. Niemand ist untergeben. Bei der Entstehung menschlichen Lebens verschmelzen Eizelle und Samen und teilen ihre DNA. Ein heiliges Ur-Prinzip: Zusammenkommen und Teilen. Gleichwertig.

Wir finden viele Beispiele in der Bibel, die Zeugnis ablegen von diesem Gemeinsinn. Aber wir finden auch viel Gewalt und Ausgrenzung in demselben Buch. Darum ist es wichtig, sehenden Auges zu lesen. Ich möchte achtsam sein, was ich bete, denn „Ich bin Mensch und stelle meinen Dienst in das Wohl aller Menschen.“ In der Tiefe meines Herzens bin ich religiös. In Staunen und Dankbarkeit neige ich mein Haupt und lausche der heiligen Essenz, die uns umweht. Die Schöpfung liegt strahlend und wunderschön vor unserem Angesicht. Wir sind umgeben von ihr und doch blind. Wer von uns lebt die Verbundenheit zum Göttlichen, das in uns und um uns ist und durch das wir sind. Leben wir nicht viel zu oft immer noch das Hängen an der Willkür der Obrigkeit und lassen geschehen?

Anstatt zu antworten: Siehe, ich bin nicht die Magd des Herrn?  

Die Frucht der Erkenntnis

Pinkola Estés sagt: „Gegen vier Gebote muss jede Frau [jeder Mensch] verstoßen, wenn sie [er] als weisere und transformierte Seele aus dieser Fallgrube herauskommen will:

  1. Du sollst nicht sehen.
  2. Du sollst nicht erkennen.
  3. Du sollst deine Stimme nicht erheben.
  4. Du sollst nicht handeln.“ (Estés 1995, S. 91)

Die Schlange wird in der Bibel oft als Sinnbild der Verführung verwendet, in der Medizin jedoch als Symbol der Heilung. Erkenntnis, die Gabe sehen zu können, wird als gesund machend betrachtet. Vielleicht ist der Fluch ein Segen, weil wir uns vom Unbewussten ins Bewusstsein führen, weil wir uns häuten. Alte Haut hinter uns lassen, um zu wachsen. Vielleicht ist dies auch für viele eine Bedrohung / Mühsal / Pflicht – ein Fluch eben, denn wenn wir Ungerechtigkeiten erkennen könnten, uns nicht mehr fügen würden und selbst über unser Leben bestimmen könnten, ja dann… verdammte Scheiße. Dann wären wir unsere eigene Königin in unserem Reich, dann wäre die Lösung in uns und um uns herum. Dann wären wir aber auch verantwortlich.

Sprache und Wahrheit

Rostige Spuren der alten Ketten finden wir nicht nur in der Religion, sondern auch in der alltäglichen Sprache. Weiblichkeit und Fraulichkeit versus Männlichkeit und Herrlichkeit. Wie viel an Struktur und Hierarchie steckt in diesen Begriffen? Frau und Mann sind auf gleicher Ebene. In unseren Anreden verwenden wir jedoch Frau und Herr. Kaum jemandem fällt auf, dass die Begriffspaare ungleich sind.

Die Befreiung der Frau als Untergebene ringt den meisten nur ein müdes Lächeln ab. Sind wir nicht eh schon gleichgestellt? Das Wort „Emanze“ hat den Ruf eines Schimpfworts und wird nur in kleinen Kreisen positiv verwendet. Dabei bedeutet Emanzipation selbstständig, gleichberechtigt und frei zu sein. Viele sagen: „Ach, lasst uns doch in Frieden mit eurem Genderwahn. Lasst uns doch bei der einfachen Ordnung bleiben, anstatt Ecken und Kanten in die Sprache zu bringen.“

Widerstand regt sich in den Reihen der Männer und Frauen. Was war es in Österreich für ein zäher Kampf, in der Bundeshymne ein Loblied auf unsere Söhne und Töchter zu singen. Das stimmt mich traurig. Wie sagte neulich ein österreichischer Schriftsteller? „Sprache bereitet Handlung vor.“ Denken wir an die österreichische Geschichte – Krieg fängt mit Sprache an. Aber auch Frieden und Gerechtigkeit. Nichts ist machtvoller als das Wort. In meinen Ohren klingen die ur-alten Sätze, die so viel Weisheit beinhalten: „Im Anfang war das Wort…“ (Joh 1,1)

Macht und Erlösung

Was spricht dagegen sichtbar zu sein? Wollen wir Frauen als ebenbürtig auftreten? Oder wollen wir lieber unerkannt bleiben und damit Macht abgeben? Mitgemeint sein, bevormundet werden, anstatt zu „machen“ und zu gestalten. Machtlos sein bedeutet zu tun, ohne zu fragen und bloß nicht aus der Reihe tanzen.

Ohne Wahl erledigen, was andere dir auftragen, weil: „Die da oben haben gesagt…“ Die Verantwortung für die eigene Antwort abgeben, die eigene Stimme nicht erheben. Den eigenen Standpunkt unklar lassen. Andere sollen entscheiden. Bequem ist die Haltung: „Die Trottel da oben – ist ja echt eine Sauerei, aber was kann unsereiner schon tun?“ Fühlt sich erleichternd an, muss ich zugeben. Oder aber die Sehnsucht nach dem einen Retter, der alles richten wird. Der Wunsch nach der einfachen (Er-)Lösung in einer komplexen Welt. Weil: „Mir sind die Hände gebunden… und ich wasche sie in Unschuld.“

Es ist interessant wie viel Wahrheit manch alte Geschichten in sich tragen, auch wenn sie historisch so oder anders gewesen sein mögen. Und wie wenig wir davon lernen. Pontius Pilatus gehörte der Führungsebene an und hatte besondere Entscheidungsmacht. Stattdessen hat er nicht seinem gewählten Platz gemäß Verantwortung übernommen, sondern sich fein säuberlich abgeputzt.

Wir alle tragen Verantwortung. In erster Linie für unser eigenes Handeln und in zweiter Linie, für alles, was wir uns bekannt gemacht haben. Unsere Familie, aber auch jedweder Platz, den wir uns entschließen, zu besetzen. Wir ziehen Kreise, in der Familie, in unserer Nachbarschaft, in unserer Gemeinde, in unserem Land, auf unserer Erde. Unsere Hände und Füße, unser Herz und unser Verstand sind dazu da, um unsere eigene Antwort zu geben. Die Verantwortung für unser Leben kann uns weder Jesus noch sonst irgendwer abnehmen.

Machtlosigkeit und gewählte Blindheit

Macht abzugeben, kann entlastend sein. Während wir den Kopf in den Sand stecken, sollen doch andere tun. „Die Gscheitn.“ Weil: „Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güts nix, ober meiner, unter meiner siach i nix. Spür nix, hear nix und i riach nix. Denk i nix und red i nix und tu i nix…“(Arik Brauer).

Die Krux ist jedoch, dass wir die verheerenden Auswirkungen von gewählter Machtlosigkeit / Wurschtigkeit / Blindheit erst dann spüren, wenn das Wohlwollen der „Rettenden“ verloren geht. Wenn „die da oben“ Scheiße bauen und Gesetze erlassen, die uns weh tun. Wenn nicht arbeitsbedingte Fehler passieren, sondern wenn tatsächlich wissentlich und willentlich Unrecht geschieht.

Oder wenn „man“ in der Partnerschaft nicht mehr gut aufeinander zu sprechen ist. Wie die EAV in „Küss die Hand schöne Frau“ singt: „Was heißt du – wir san per sie“. Das bittere Erwachen folgt, weil es dann unter Garantie nicht mehr „unser Geld“ und unser Eigentum ist. Dann zählt, wer wo unterzeichnet hat und wessen Name draufsteht.

Warum haben wir in Österreich eigentlich einen Familienbonus, von dem diejenigen am meisten profitieren, die das Haupteinkommen generieren? Naja, der Mann wird dann wohl eh seiner Frau vom Geld was abgeben. Oder? Ist ja eine Partnerschaft. Und mit Struktur hat das alles nichts zu tun. Könnte „man“ ja ein Taschengeld vereinbaren, oder so. What the f…? Warum bekommt nicht jede Familie eine höhere Familienbeihilfe für jedes Kind? Und warum sind wir bei der Familienarbeit immer noch Großteils in der traditionellen Aufteilung hängen geblieben? Ein langwieriges Thema und kein Ende in Sicht.

Verjüngung und Verdummung

Themenwechsel. Was hat es mit dem Phänomen der Verkindlichung junger Erwachsener auf sich? Eltern reißen sich ein Bein aus, um ihrem Sprössling noch mit 30 Jahren ein Nest zu bieten. Fullservice – Hotel Mama. Und wundern sich, warum der Filius keinen Bock auf Arbeit hat. Und Frauen Mitte 20 werden in Fernsehshows als Mädchen bezeichnet. Warum? Um das eigene Alter gering zu halten?

Mir fällt auf, dass es im Puff auch nur „girls“ gibt. Mann will schließlich Mädchen ficken und nicht „woman“ – Frauen. Oder? Weil Mädchen als naiv und unerfahren gelten? Weil „man“ dann Macht über sie hat? Wird ein junger Mann zwischen 20 und 30 auch als Bub bezeichnet? Ja manchmal. Erinnern wir uns an die sogenannte „Bubenpartie“ in der österreichischen Politik zu Jörg Haiders Zeiten – nicht als Lob gemeint. Erstaunlicherweise will kaum jemand alt sein, aber die Jugend hat in „Fachkreisen“ auch keinen Wert. Also am Besten viel Berufserfahrung, abgeschlossenes Studium, Familienplanung hinter sich und Aussehen nicht älter als 30. „Hihi/grins/grins“ – weil „frau“ fragt „man“ das nicht.

Was ist denn das für ein Scheiß? Weil dann herauskommen würde, dass sie tatsächlich nicht 27 ist, sondern 43 Jahre alt – wie eh schon vermutet? Verlieren alte Frauen in unserer Gesellschaft immer noch an Wert aufgrund des natürlichen Prozesses des Altwerdens? Und wollen wir Frauen das wirklich unterstützen, indem wir blöd grinsen und sagen: „Nein, nach dem Alter darfst du nicht fragen?“ Da werde ich aggressiv. Mir kommt die Zeile von Reinhard Fendrich in den Sinn: „…dem schlag i die Zähnd ein…“

Na, na. Immer mit der Ruhe.

Körperregulierung – die heilige Hure

Wie steht es mit der Verfügung über den eigenen Körper? Sind wir im Bewusstsein, dass wir uns selbst gehören? Und erlauben wir es uns Geist und Körper als Wesenseinheit zu begreifen? Lassen wir den Geist in uns strömen und ehren uns selbst? Lieben wir uns selbst wie unsere nächsten? Oder lassen wir uns für nicht gut genug erklären und willkürlich regulieren? Ein Beispiel gefällig? Wir Frauen brauchen nun auch schon Spezialpflege für den Intimbereich (heimlicher Codex: nicht „das“ Wort sagen!).

„Was? Keine Intimpflege benutzen sie? Geht gar nicht“, belehrte meine Frauenärztin mich neulich ernsthaft und drückte mir mit folgenden Worten eine Gratislotion in die Hand: „Das braucht jede Frau.“ Ja, echt? Danke, werde ich natürlich sofort kaufen. Von nun an jeden Ersten des Monats: Lebensmitteleinkauf und Miete bezahlen? Nein, wo denken sie hin: Intimpflege. So, das hätten wir. Wie war es nur möglich, dass die Menschheit ohne Intimlotion überlebt hat? Unvorstellbar. Weltwunder Nummer 8. Oder verkaufen uns alle für blöd? Leider war ich zu perplex, um diese Antwort zu geben.

Mir stehen die Haare zu Berge. Was kommt als Nächstes? Haarrasur: Achseln, Beine, Po, Vulva. Ach so, das gibt es ja schon. Die unbehaarte Frau? Wofür stehen Haare? Für Wildheit, Kraft, Stärke, Gesundheit? Achsel- und Vulvabehaarung fürs Erwachsensein? Oh Gott. Dann sind wir nicht mehr jung. Dürfen wir jetzt nur mehr unbehaart Sex haben, weil mädchenhaft? Verdammte Scheiße. Da will ich fluchen. Dürfen wir überhaupt noch über Sex reden? Irgendwie gibt es entweder das geile Luder oder die entsexualisierte vom Knöchel bis zum Hals bedeckte Frau. Schon wieder sind wir bei der Hure und der Heiligen angelangt.

„Ich bin Viele“

Ich wehre mich dagegen, entweder die eine oder die andere sein zu müssen. Gut, wenn schon, dann das Luder. Mehr Spaß im Leben. Nein, im Ernst. Wir sind beides und so viel mehr. Heilig in unserer vollkommenen Unvollkommenheit, geliebt und getragen, wie wir sind: als spielende, denkende, fühlende, schaffende… mit allen Sinnen genießende, sexuelle und soziale Wesen. An Meredith Brooks song ist was dran: „I’m a bitch, I’m a lover, I’m a child, I’m a mother, I’m a sinner, I’m a saint, I do not feel ashamed, I’m your hell, I’m your dream, I’m nothing in between…“ Bis auf die letzte Zeile stimme ich ihr zu. Wir sind all das und vieles dazwischen. „Ich bin viele“ ist ein alter und wahrer Ausspruch. Aber sich selbst mit all den bunten Facetten wohlwollend, liebevoll, zärtlich, wild und lebendig zu begegnen, haben die wenigsten von uns erfahren und gelernt. Kein Wunder, dass wir oft unsere liebe Not in der Partnerschaft haben. Und unsere Bedürfnisse nicht wahrnehmen.

Sexualität und „Ohr-gasmus“

Sexualität. Die Quelle allen Lebens. Unterschätzt, geringgeschätzt, überhöht, verpönt, verkannt, ausgeblendet, mit greller Leuchtreklame eingetrichtert… wir gehen über vor lauter Sexbilder und in der Beziehung unter. Solange wir nicht verstehen, dass Geist und Körper verbunden sind. Manchmal hab ich den Eindruck, dass wir unter „Sozialisation“ verstehen, Geist und Körper zu trennen. Und auch noch stolz darauf sind, wenn uns diese Kastrierung gelungen ist. Um uns dann von unserem aufgeblasenen Ego leiten zu lassen. Das anfällig ist für jeden Windhauch und jedwede spitze Begebenheit. Das vielleicht schönste aller Spiele findet allzu oft rein körperlich und zwischen absoluter Verhüllung und absoluter Entblößung statt. Zwischen Überkorrektheit und wahllosem, jederzeit verfügbarem Sex. Und natürlich gibt es da noch „obszöne Begriffe“. Weil, Fotze ist obszön. Oder? Schmutzig, schlüpfrig, schamlos, unsittlich und ordinär. Echt jetzt?

Fotze heißt nach meinem Sprachverständnis Mund. Und gilt in unserer Gesellschaft als das ärgste aller Schimpfwörter. Was sagt das über unsere Kultur aus? Wann endlich gewinnen wir wieder Hoheit über unseren eigenen Körper und Geist? Und ja, hoffentlich ist sie schlüpfrig, unsere kleine Muschel, wenn wir uns lieben. Wäre dem nicht so, würde es weh tun, wie jede Frau weiß. Und ja, hoffentlich sind wir mit Stolz erfüllt, ob unserer süßen Frucht.

Mich interessiert, was zwischen „rubbel/rubbel und rein – raus – fertig“ liegt. Oder aber dem anderen Extrem: „Ich bin so spirituell, ich behalte meine Säfte gleich ganz bei mir“. Wo schaffen wir den Raum, in dem Begegnung stattfindet? In dem Sex entdeckt, erkannt, geschätzt, geehrt wird und ein Teil des Lebens ist? Tastend, fühlend, forschend, riechend, schmeckend, hörend, sehend… sinnlich und geistig – im „Ohr-gasmus“ steckt viel Essenz. Unsere Beziehung zu uns selbst und anderen nähren wir mit Gedanken / Ideen, Worten und Taten.

Werbung – Makellose Oberfläche

Aber schenken wir der Werbung Gehör sind wir nicht genug. Nein, wir Mängelwesen brauchen Statussymbole und jeden Tag gilt es gleich mehrere „Makel“ zu beheben: Ob Abnehmen oder Zunehmen, an den richtigen Stellen natürlich: Bauch thin – Busen big – na, im Ernst? Wie geht denn das? Bin i high oder was? Altern, natürlich ein großes Übel: Falten cremen hin und Cellulite her und dann noch rasieren… a Spritzerl oder a Füllung, wenn alles nix hilft. Irgendwas ist immer. Nämlich zum Korrigieren an der Frau. Ja, spinnen wir total?

Wo bleibt denn bei all dem Korrekturwahn und dem Regulieren von Äußerlichkeiten die Frau, die so in Ordnung ist, wie sie ist. Die, die als Ganzes sieht und gesehen wird. Mit Geist und Körper? Die sich pflegt, wie es ihr gefällt und ihre Haare rasiert oder teilweise rasiert oder nur stutzt oder Wildwuchs pur vorzieht – what the hell…

Wir bekommen Extreme serviert und hecheln Idealen hinterher. Wir scheinen extrem bemüht, uns selbst zu blenden, um das Ende nicht zu sehen, das jedem Anfang innewohnt. Dabei will uns unser Körper doch helfen, die Spuren der Zeit und des Lebens zu achten.

Lebewesen

Aber, was mich am meisten beschäftigt, wo bleibt bei all dem Schnick Schnack das Wesentliche – unser Wesen? Wer bin ich? Was begeistert mich? Wie gestalte ich heute meine Welt? Was sind meine Pflichten und wo sind meine Freiräume zum Spielen? Nutze ich sie? Erweitere ich sie? Und spüre ich meine Grenzen? Sage ich auch „Nein“, mit gutem Gefühl und reinem Gewissen? Erlaube ich es mir selbst zu denken?

Oder bin ich ständig dabei angebliche Makel zu korrigieren und damit beschäftigt, dem Ideal zu entsprechen, das andere mir aufstülpen wollen? Frau denke an das Werbemodel, dass am PC „korrigiert“ wurde und uns ständig und überall als Köder serviert wird. Vielleicht noch mit leicht geöffnetem Mündchen, weil… was ist die message dahinter? „Ich bin blöd?“ Frau denke an die Nachbarin, die sich aufopfernd um alle anderen kümmert, nur nicht um sich selbst. Gott bewahre. Das wäre ja nicht selbstlos.

Also, ich will mein Selbst nicht los sein. Danke, nein!

Oder die Frau, die dagegen kämpft, sich für das eine (Familie) oder andere (Beruf) entscheiden zu müssen. Und der Mann, der in der gleichen Falle sitzt, aufgrund unserer hinderlichen Strukturen im eigenen Kopf und in der Gesellschaft. Was ist mit der Magd und keuschen Schwester oder dem zölibatär lebenden Priester in der katholischen Kirche, die „freiwillig“ verzichten? Frei von Willen? Oder mit freiem Willen auf Lebendigkeit und die Erfüllung von Grundbedürfnissen (Intimität, Berührung und Beziehung)? Und wie geht es dem Sexsymbol, das nach einigen Jahren des Erfolgs ausgedient hat, weil nicht mehr dem Geschmack der anderen entsprechend? Und sich selbst den Gnadenschuss gibt.

Mit Pistole oder Giftspritzerl fürs Hirn.

Häutung und Begrenzung

Diese Extreme klingen alle überhaupt nicht verlockend. Ich will diese verkrusteten Positionen nicht leben. Es wird Zeit, dass wir uns häuten. Mann und Frau dürfen neue Strukturen gestalten. Mit Grenzen. Im unbegrenzten Freiraum gehen wir verloren. Wie Gerald Hüther sagt, haben wir schon als Baby Wachstum und Begrenztheit im Sinne von Zugehörigkeit erfahren. Das sind unsere Urbedürfnisse.

Wir sind im ewigen Kreislauf eingebunden, schöpfend und gestaltend, lebendig im Sein, im Angesicht des Todes – wie auch immer diese Transformation dann sein wird. Irgendwo hab ich mal gelesen, wir sind wie eine Kerze. Unsere Aufgabe ist es, zu strahlen und Licht und Wärme zu geben. Je kleiner die Kerze wird, desto größer wird die Flamme. Ein stimmiges Lebensbild. Was gibt es Schöneres, als Verbundenheit, Akzeptanz und Begrenztheit zu spüren?

Vielleicht ist die Begrenzung eine unserer größten Herausforderungen. Wenn wir weiterhin konsumieren und wirklich glauben, dass mehr Konsum zu mehr Wohlstand führt und ein erstrebenswertes Ziel ist, werden wir die Lebensgrundlage für uns und unsere Nachkommen zerstören. Nein, es steht uns nicht zu, jeden Tag Fleisch zu essen. Auch wenn es Bio ist. Und nein, es ist nicht in Ordnung, dass unser System so läuft, dass die Reparatur des alten Laptops teurer ist als die Anschaffung des neuen PCs. Und nein, es reicht nicht, dass unser Auto spritsparend ist, wenn wir jeden Tag allein im Auto sitzend quer durchs Land kurven. Auch wenn wir uns angeblich auf dem Papier vom CO2 loskaufen können.

Sind wir wirklich so bescheuert? Wenn ich einem Schulkind sage, dass es nichts macht, wenn es jeden Tag zwei Packungen Zigaretten raucht, solange es dem armen Nachbarskind jährlich 10 Euro gibt, so wird es mich irritiert anglotzen und denken, ich sei blöd. Und siehe da: Ein Jahr später liegt das aktiv rauchende Kind krebskrank auf der Intensivstation, das andere „no name“ Kind wurde bereits im Straßengraben verscharrt. Weil – die Schaufel war teurer als die 10 Euro.

Die Verführung der Grenzenlosigkeit

Uns wird suggeriert, jederzeit alles zu können. Was gut gemeint ist, führt dazu, dass eine 60jährige ernsthaft denkt, sie müsste doch, wenn sie sich nur genug anstrengen würde, den body einer 30jährigen haben können. Klar geht das – mit Selbstverstümmelung, Verzeihung „chirurgischen „Korrekturen“ und eiserner Disziplin.

Warum liebevoll mit sich selbst sein, wenn frau doch auch jeden Tag in den Spiegel schauen und feststellen könnte, nicht die Schönste im Land zu sein. Um dann wie besessen und voller Verzweiflung zu irgendwelchen Mittelchen, Maßnahmen und Diäten zu greifen.

Mal ehrlich, wer von uns bemüht sich nicht darum „Superwoman“ zu sein? Job – nein, noch besser, steile Karriere, Partner, Kinder, Haushalt, Hobby, Freunde und Ehrenamt, kein Problem. Klar geht das – Burnout, Erschöpfung, Depression, Krebs inklusive.

Und wenn die Chemiekeule alles gerichtet hat, bleibt am Ende des Lebens das untrügliche Gefühl, anstatt von der Frucht der Erkenntnis genascht und unter dem Baum des Lebens gelegen zu haben, freiwillig im Schweiße des eigenen Angesichts Scheiße gefressen zu haben.

Nacktheit und Selbsterkenntnis

Es ist beängstigend sich in völliger Nacktheit zuzugestehen, dass ein anderes Leben möglich ist oder gewesen wäre. Anstatt der Selbsttäuschung zu erliegen: „Du hast gut reden. Ich hab einen Job / eine fette Hypothek / Kinder / einen Großvater zum Pflegen… Du hast ja Zeit.“ Als ob wir unseren Job nicht selbst gewählt hätten, das Haus nicht selbst geplant und an der Entstehung unserer Kinder keinen Anteil gehabt hätten. Als ob wir die einzige Person auf Erden seien, die für die Pflege der älteren Generation zuständig ist.

Und – da werd ich grantig – als ob die „rund um die Uhr Pflege“ sieben Tage die Woche für einen einzigen Menschen schaffbar wäre. Als ob die Pflege von Kindern und Menschen mit besonderen Bedürfnissen keine gesellschaftliche Verantwortung wäre. Als ob der Staat sich abputzen könnte. „Ich wasche meine Hände… weil, leider brauchen wir das Geld für den Ausbau der Autobahn.“

Und als ob irgendjemand Zeit besitzen könnte. Zeit ist. Kein Mensch kann Zeit optimieren oder rationieren. Die Sekunden vergehen und rinnen zu Minuten, Stunden, Tagen, Jahren. Die Zeit ist unser Lebensgeschenk. Ob wir von einem Ziel zum nächsten rennen und uns hastig nebenbei Plastiksnacks gönnen oder ob wir gehend, sehend und staunend betrachten, was in und um uns rundherum ist, liegt an uns selbst. Und natürlich gibt es so etwas wie förderliche und hinderliche Strukturen, die wir gemeinsam schaffen.

Nackt sein. Eva und Adam erkannten, dass sie nackt waren und wurden aus dem Paradies verstoßen. Was will uns diese Geschichte sagen? Sollen wir blind durchs Leben gehen? Ist das das Paradies? Oder beschreibt die Erzählung die Sehnsucht nach der Rückkehr in den Mutterleib, in dem wir jederzeit, versorgt, geschützt und behütet waren? Oder das stille Urbild der Ewigkeit, den Ursprung unseres Daseins? Erleben manche die Geburt einer neuen Daseinsform als Verstoßung aus der alten, anstatt als Neubeginn?

Ist diese Geschichte überhaupt je mit diesen Worten erzählt worden? Weil, wer hat sie nochmals im Jahre Schnee aufgeschrieben? Und wenn wir tatsächlich einen Quellennachweis hätten, wer hindert uns daran, die Geschichte umzuschreiben?

Freiheitsgrade

Geht es im Leben nicht viel mehr um die Zwischenräume und um die Freiheitsgrade? Wer will gegenüber jedem nackt sein und wer will gegenüber jedem verhüllt sein? Kann ich mir selbst überhaupt jeden Tag nackt begegnen oder brauche ich auch meine dunklen Räume und Schlupfwinkel, die unbewusst bleiben? Oder zumindest nur mir selbst bekannt sind? Wo ist der private Raum, in dessen Sicherheit ich mich rekle? Und wo ist der öffentliche Raum, in dem ich selbst entscheide, was von mir ich zeige.

In jedem Fall mein Gesicht, um von meinen Artgenossen und Genossinnen als Mensch erkannt zu werden. Um als Ich erkannt werden zu können. Um mein Antlitz zeigen zu dürfen, anstatt in irgendeiner verhüllten Masse zu verschwinden. Und Haare – seit jeher ein Kraftsymbol, ich will auch diese zeigen und tragen dürfen, wie ich will.

Wofür steht eigentlich die Handlung, sich dem anderen nackt zu zeigen? Sich entblößen, sich verletzlich zeigen, erkannt werden? In seinem Wesen? Woher kommt der Satz: „Ich erkenne dich!“ Und sollte es nicht zuerst heißen: „Ich erkenne mich?

Oder ist das ein Henne – Ei Problem. Wir sind un-/trennbar miteinander verbunden. Wie Martin Buber das Sein dual als zwischen „Ich und Du“ (Mensch und Mensch) und „Ich und Es“ (Mensch und Welt) versteht. Der Mensch hat die Fähigkeit sich in Verbindung zueinander und distanziert voneinander zu begreifen.

Leben findet in den Nischen und Zwischenräumen statt. Weder sind wir völlig hilflos, noch können wir alles bestimmen – aber es ist ein großer Unterschied, ob ich mich als Magd demütig bücke oder als Königin erhobenen Hauptes handle. Selbst das königliche Reich hat Grenzen und Spielregeln. Aber der Raum öffnet sich enorm, wenn ich mich als Königin begreife.

Der Apfel und die Fotze

Ich schließe mit dem Anfang. Eva reichte Adam den Apfel und enthüllte  sinnbildlich ihre Yoni. Ihre Kraft. Die Yoni ist die Pforte des Lebens. Dieses weltberühmte Sinnbild zeigt uns die Feige, die süße Frucht, die sich mit dem Lingam verbindet und in Indien als Eins dargestellt wird. Die Quelle. Das verbindende Portal und die Fähigkeit zur Fruchtbarkeit als Erbsünde? Ich versteh es nicht. Was war das nur für ein hinterlistiger Teufel, der geschrieben hat, dass Gott nicht will, dass wir erkennen? Wir sollen unseren Geist nicht ausströmen lassen? Nicht in Fülle leben? Wer es glaubt, wird nicht selig.

Es war einmal… „Fotze als Heilszeichen…“, nachzulesen im Buch „Vulva“ von Mithu M. Sanyal. Die Yoni in Stein gemeisselt am Eingang des Gebetshauses. Zum Anfassen. Schon lange her. Richtig. Viele Jahrhunderte wurde die Yoni der Frau verbannt. Jetzt ist sie allgegenwärtig, so scheint es. Wir zeigen alles. Siehe Porno. Aber dem anderen, anstatt uns selbst.

Welche Frau betrachtet täglich ihre Yoni? Baut eine liebevolle Beziehung zu ihrer Mitte auf? Und warum verwenden wir immer noch den grauslichen Begriff „Schamlippen“, obwohl es sich doch um unsere wundervollen, einzigartigen Vulvalippen handelt.

Oder sprachlich emotional positiv gefärbt: Venuslippen. Uns fehlt die Bewusstheit, dass die Namensgebung mit dem Erkenntnisprozess eng verwoben ist. Hat eigentlich jede Frau einen wohlwollenden Namen für ihre Mitte, ihre Vulva? Nein? Na, dann wird’s aber Zeit! Ein Literaturtipp am Rande: Wer ein bisschen in der Schönheit und Vielfalt der Vulva schwelgen möchte, findet wunderschöne Darstellungen im Bildband von Grit Scholz: „Das Tor ins Leben“.

Neulich habe ich in einem Film einen Dialog gehört, der mich enorm wurmte: Die Eltern unterhielten sich darüber, dass ihr siebenjähriger Sohn das „F-Wort“ benutzte (Geheimcode: Nicht „das“ Wort sagen). Die Mutter fragte irritiert, woher er das habe. Und der Vater entrüstete sich daraufhin ernsthaft, dass die Frauen den Männern schon so viel weggenommen hätten. Wenn sie ihnen jetzt verbieten würden, dieses Wort zu benutzen, das ginge wirklich zu weit…

Was mich stutzig gemacht hat? Wieso ist Fotze das Wort des Mannes? Es ist in der Realität so. Männer benutzen im Film „Fotze“ als Schimpfwort, um andere Männer und Frauen zutiefst abzuwerten und zu erniedrigen. Wie kann dieses Wort, das doch das Sexual- und Freudenorgan der Frau beschreibt, ein Wort sein, dass ausschließlich die Männer für sich in Anspruch nehmen? Gibt es Frauen, die sagen: Du Schwanz? Nein. Vielleicht, ganz manchmal „du Wichser“ oder „du Schwanzlutscher“, abwertend gemeint, obwohl es im Einvernehmen eine schöne Handlung ist. Außerdem ist Wichsen und Lutschen etwas, das Frauen und Männer tun. Es geht nicht so tief. Es ist eine Handlung, die ich ausüben kann oder auch nicht. Die Fotze – der Mund – ist der ureigenste Körperteil der Frau.

Am Anfang steht das Wort. Ich möchte verbunden mit meinem Körper sein. Ich will meinen Körper wie meinen Geist salben und jedes Teil ehren. Wie kann ein Teil von mir ein Schimpfwort sein? Ich lasse mir meine Yoni nicht mehr entfremden, entreißen und benutzen. Die Yoni ist die Pforte des Lebens. Von Vulva bis Fotze – sie ist mein!

Meine Mitte. Mein kreatives Zentrum. Mein Stolz. Meine Freude.

Meine Königin.

Buchtipps:

  • Mithu M. Sanyal (2017): Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts. Berlin: Wagenbach.
  • Clarissa Pinkola Estes (1995): Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte. Heyne.
  • Grit Scholz (2007): Das Tor ins Leben. LebensGutVerlag.
  • Martina Stubenschrott (2018): Meine wilde Schönheit. Masturbierst du? Nein, ich öle meine Mitte. Wien: MyMorawa.
  • Martina Stubenschrott (2018): Was?!? Ich hab Haare? Huch! Wien: MyMorawa.
  • Martina Stubenschrott (2019): Was?!? Ich hab Falten? Huch! Wien: MyMorawa.